Leben mit körperlicher Behinderung
Viele Menschen mit Behinderung hinterlassen einen tiefen Eindruck wie der gelähmte Physiker Steven Hawking oder der blinde Tenor Andrea Bocelli. Doch auch Schwerbehinderte in Deutschland, die keiner außergewöhnlichen Tätigkeit nachgehen, können ein erfüllendes und selbstbestimmtes Leben führen. Entscheidend für die Lebensqualität trotz körperlicher Behinderung sind ein barrierefreies Umfeld und die positive Lebenseinstellung. Doch wie lässt sich ein barrierefreies Umfeld schaffen und das eigene Mindset positiv beeinflussen?
Gesetze für die Gleichberechtigung Behinderter
Etwa 7,9 Millionen Menschen in Deutschland haben eine staatlich anerkannte schwere Behinderung – das sind immerhin 9,5 Prozent der gesamten Bevölkerung. In den letzten Dekaden wuchsen die politischen Bestrebungen, um diese große gesellschaftliche Gruppe besser in das Alltagsleben zu integrieren. Immerhin steht bereits seit 1994 im Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
Wie eine Gleichstellung bewerkstelligt werden soll, bestimmten jedoch erst spätere Gesetze: Seit 2002 müssen Behörden ihr Service-Angebot barrierefrei gestalten und seit 2006 besteht das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG). Es untersagt beispielsweise Arbeitgebern, Bewerber bei passender Job-Qualifikation nur wegen ihrer Behinderung (oder ihrer Hautfarbe oder ihrer Religion) abzulehnen.
Als internationaler Vertrag setzt die UN-Behindertenrechtskonvention die Ziele der Gleichstellungspolitik wie folgt fest:
- Behinderte Personen sollen selbst über ihren Beruf und ihren Wohnort bestimmen dürfen.
- Sie haben das Recht am allgemeinen Leben so teilzunehmen wie alle anderen Menschen auch.
- Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichstellung definieren sich damit als zentrale Werte für ein Leben mit körperlicher Behinderung.
Wohnen in einem barrierefreien Umfeld
Zum selbstbestimmten Leben gehört für Behinderte in erster Linie die eigene Wohnung. Aktuell leben hierzulande etwa 10,4 Millionen Personen mit einer Behinderung unbetreut in den eigenen vier Wänden – bei den unter 44-Jährigen wohnen davon etwa 60 Prozent allein. Für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte ist eine schwellenlose und komfortable Umgebung dabei essenziell. Folgende Elemente gehören für sie zum barrierefreien Wohnen:
- Schwellen und stufenlose Zugang zur Haus- und Wohnungstür per Rampe oder Lift
- Türen mit mindestens 90cm Breite
- Freiraum zum Manövrieren mit 1,5*1,5m Fläche in jedem Raum
- Flure von 1,5m Breite
- 1,5m freie Strecke vor und hinter Türen sowie vor den zentralen Möbelstücken wie Sofa und Bett
- unterfahrbare Küchenarbeitsplatten, Herd, Spüle und Waschtisch
- Schränke und Regale mit Fächern, die sich herunterfahren lassen
- Bedienelemente für Klingel, Licht und Jalousien auf 85cm Höhe
- Steckdosen ab 40cm Höhe
- bodengleiche Duschen
Barrierefreie Arbeitsplätze für mehr Inklusion
Prinzipiell sind Firmen mit mehr als 20 Mitarbeitern gesetzlich verpflichtet, 5 Prozent ihrer Arbeitsplätze mit behinderten Personen zu besetzen. Die Umgestaltungen, die für eine barrierefreie Arbeitsumgebung nötig sind, obliegen grundsätzlich dem Arbeitgeber. Wer jedoch beabsichtigt, Behinderte über die gesetzliche Quote hinaus zu beschäftigen, kann beim zuständigen Integrationsamt Kredite und Zuschüsse für die erforderlichen Maßnahmen beantragen. Doch welche Anforderungen stellen Arbeitnehmer mit körperlicher Behinderung an ihr berufliches Umfeld? Hier stehen folgende Aspekte im Zentrum:
- Das Zwei-Sinne-Prinzip: Die wichtigen Informationen am Arbeitsumfeld müssen jederzeit mit zwei Sinneskanälen erfassbar sein. Das bezieht sich zum Beispiel auf Orientierungshilfen, die gleichzeitig visuell und taktil gegeben werden. So ist es etwa Sehbehinderten möglich, auf das taktile System auszuweichen.
- Optimieren der Wahrnehmbarkeit durch sämtliche Sinne: Mit einer guten Beleuchtung, dem Abbau von Störgeräuschen sowie Hilfsmitteln wie Piktogrammen oder Brailleschrift soll die Wahrnehmbarkeit zentraler Informationen erleichtert werden. Davon profitieren sowohl Menschen mit körperlicher Behinderung als auch Personen mit kognitiven Defiziten.
- Barrierefreie Innenräume und Außenanlagen: Vom behindertengerechten Parkplatz über die Eingangsrampe bis hin zu den Bedienkonsolen in Rollstuhlhöhe sollten Unternehmen eine barrierefreie Umgebung für mobilitätseingeschränkte Mitarbeiter schaffen.
Experten-Tipp: Arbeitsagentur fördert Beschäftigung von Menschen mit Behinderung
Auch die Agentur für Arbeit fördert die Beschäftigung von Behinderten mit verschiedenen Maßnahmen. Sie bezuschusst etwa die Ausbildungsvergütung oder das monatliche Entgelt. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass Unternehmen eine dreimonatige Probebeschäftigung eines behinderten Mitarbeiters finanziert bekommen, wenn sie die Aussicht auf die dauerhafte Einstellung steigert.
Freizeit und Hobby – keine Frage der Behinderung
Absenkbare Busse, Bahnsteige mit fühlbaren Leitsystemen – auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind heute konsequent barrierefrei gestaltet, um Behinderten ohne eigenen PKW das Pendeln zur Arbeit aber auch den Weg zu Freizeitveranstaltungen zu erleichtern. Passende rollstuhltaugliche Freizeitangebote dazu bieten Sportvereine, Konzert- und Reiseveranstalter. Auch die Medienschaffenden sind bestrebt, ihr Angebot dahingehend zu erweitern, dass es von allem Menschen gleichermaßen genutzt werden kann, z.B. durch Gebärdendolmetscher, Untertitel für Hörgeschädigte oder Bildbeschreibungen für Personen mit einer Sehbehinderung.
Schlussendlich erzeugt die Computertechnik heutzutage viele Möglichkeiten, die Behinderte für sich nutzen können, etwa mit einer Braille-Schrift-Tastatur oder einer Großtastatur. Eine Mikro-Tastatur, die per Kopf- oder Mundstab bedient wird, ermöglicht gemeinsam mit einer Sprach-Ausgabefunktion sogar die Kommunikation bei schwersten degenerativen Erkrankungen des Muskelapparats wie im berühmten Beispiel von Steven Hawking.